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„Aber du machst schon noch anderes als dich auf deine Krankheit zu fokussieren, oder?“

Ich schneide Frühlingszwiebeln und du erzählst von deinem gebrochenen Herz und den Schwierigkeiten wieder alleine zu sein nach einer jahrelangen Beziehung. Irgendwann fragst du: „Und wie geht es dir eigentlich so?“, und ich antworte ehrlich, denn es scheint, so sprechen wir gerade miteinander. Ich erkläre kurz (denn alles bräuchte mehr Zeit als deine Fertignudeln), dass die Symptome gerade sehr belastend sind.

Du sagst: „Aber du machst schon noch andere Dinge, als dich auf deine Krankheit zu fokussieren, oder?“ und der ganz feine Unterton eines Vorwurfs und die Neuartigkeit einer solchen Situation wirft mich in die Verteidigungsposition. „Ja, ja, sowieso. Ich mache viele andere Dinge“ sage ich, fühle mich ertappt und denke an meine heutigen Stunden Erfahrungsberichte-Lesen und Hilfsmittel-Recherche. „Dann ist ja gut.“, sagst du und ich nicke und merke erst eine Stunde später, wie wütend ich seit diesem Moment in der Küche bin.

Warum hat mich dieses Gespräch verletzt?

Weil diese Frage zwei Möglichkeiten impliziert:

Erstens, dass ich mich mit anderen Dingen beschäftigen kann, weil die Erfahrung der Symptome wahrscheinlich nicht so schlimm ist, als dass ich mich nicht ablenken oder meinen Fokus neu ausrichten könnte. Das wertet meine Erfahrung der letzten Wochen, in denen sich die Krankheit immer wieder zwischen mich und die Aussenwelt schob, ab und zwar aufgrund der willkürlich getroffenen Annahme, dass es wohl nicht so schlimm sein kann.

Oder aber zweitens, dass ich mich mit andern Dingen beschäftigen kann und sollte, auch wenn es tatsächlich so schlimm wäre, weil ich immer eine Wahl habe. Man kann ja immer das Beste daraus machen.

Das stimmt, ausser eben, wenn man es nicht kann. Würdest du es so rein mindfullness-technisch meinen, verstände ich dich vielleicht: Empfindungen sind Empfindungen, Leiden entsteht erst durch die Gedanken darüber, durch das Verbinden dieser Empfindung mit Vergangenheit und Zukunft in Form von Angst, Trauer, Hoffnungslosigkeit und dem ganzen skurrilen Zirkus. Aber das ist bei allen Erfahrungen so und ich frage bei deinem Liebeskummer ja auch nicht: „Bist du dir eigentlich bewusst, dass das grauenhafte Ziehen in deiner Brust in erster Linie einfach mal eine Empfindung ist und du dich entscheidest zu leiden, in dem du es mit Konzepten wie Einsamkeit, Enttäuschung, Beziehungserwartungen und deinem leeren Bett verknüpfst? Gib dem doch nicht so viel Raum, fokussiere dich doch auf das Schöne im Leben!

Das zu sagen wäre scheisse, auch wenn es erleuchtungs-theoretisch vielleicht stimmt. Aber so meinen wir’s ja allermeistes nicht wenn wir miteinander sprechen.

Die Frage impliziert also einerseits entweder, dass ich mich anderweitig beschäftigen kann, weil es nicht so schlimm ist, oder anderseits, dass ich es kann, weil eine Überwindung des Leidens metaphysisch gesehen immer möglich ist.

Beide Varianten sind nervig, verletzend, fühlen sich gemein an und zeigen mir, dass ich offensichtlich meine Erfahrungen nicht auf eine Art und Weise kommunizieren konnte, die bei dir ankam und dass du glaubst, viel über mich zu wissen. Nämlich wie schlimm mein Zustand gerade ist und was ich dagegen tun sollte. Leider hast du aber in beiden Bereichen deutlich weniger Wissen und Erfahrung als ich und die eigentlich harmlos klingende Frage ist deswegen ziemlich anmassend. Sie reiht sich ein in die Kollektion der dummen Sätze, die man als Menschen mit chronischen oder unsichtbaren Krankheiten so zu hören bekommt.1

Mir scheint, ich verstehe, woher diese Worte kommen und dass du es im Grunde gut meinst, denn ich habe diesen oder jenen blöden Satz selber sicher schon x-Mal verwendet. Ich verstehe auch, dass du vielleicht eine Gefahr darin siehst, sich durch Dr. Google in irgendwelche Krankheitsbilder reinzusteigern. Und ich verstehe, dass du die Situation vielleicht tatsächlich nicht richtig einschätzen kannst, eventuell ja wirklich, weil ich es schlecht kommuniziere. Aber Kommunikation ist schwierig, wenn das, was man mitteilen will, sogar im eigenen Kopf (der halt auch in einer Welt sozialisiert wurde, in der ein schmales, leistungsorientiertes Konstrukt von ‚gesund‘ als Norm gilt2) schnell als jammern verstanden wird. Vor allem wenn man sich immer mehr bewusst wird dass Beschreibungen des eigenen Gesundheitszustand ein ziemlich hohes Stimmungsverderbungs-Potential innehaben. Denn solche Themen erinnern an den Tod und an die vielfältig mühsamen und ekligen Krankheiten, die mit grosser Wahrscheinlichkeit die Eine oder den Andern von uns noch treffen werden und sie erinnern an das ganze unangenehme, unschöne Zeug das mit unserem zerfallenden menschlichen Körper halt einmal so einhergeht. Daran will man nicht erinnert werden (ausser man ist gerade in einer pessimistischen Schopenhauer-Stimmung oder eines der tapferen Individuen, das sich auch den vielen hässlichen Aspekten des Lebens stellen will).

Dann beruhigt man sich mit Sätzen wie „das wird schon besser“ oder „du solltest es mit […] versuchen, das hat der Schwester des Cousins meiner Mitarbeiterin mega geholfen!“

Wenn wir eine Gesellschaft und eine Gesprächskultur anstreben, die weniger auf Gewalt und mehr auf Mitgefühl basiert, oder, wenn uns die Menschheit zwar egal ist, wir aber gerne ein gutes Gespräch in irgendeiner WG-Küche hätten, könnte es Sinn machen, solche Sätze zu hinterfragen. Ein fragendes ‚Können‘ könnte helfen. „Kannst du dich denn noch mit Anderem beschäftigten?“und ich würde dir dann antworten: „Nein, kann ich gerade meistens nicht, die Schmerzen sind zu nahe und die Angst schreit ziemlich laut, aber ich bin so froh, dass du Interesse zeigst.“

1Wie beispielsweise „Denk einfach postiv, dann fühlst du dich sofort besser“ oder „Du siehst aber gar nicht so krank aus“. Erklärungen, weshalb solche Sätze doof sind, finden sich bspw. Bei den Vlogerinnen Styna Lone (Sick Tired and Alone, https://www.youtube.com/channel/UCW6sYSpnS9MxLjPgqwnTrYw/videos) oder Annie Elainey (https://www.youtube.com/channel/UCznS4Pk3VcTIfDUuWrQtdzQ).

2Mehr dazu findet sich bspw. Hier: https://wahnsinnigverflochten.wordpress.com/theoretisches/ableism/

Dieser Beitrag hat 2 Kommentare

  1. backmann

    Ein sehr guter Artikel! Eine Person, die mir sehr wichtig ist, ist seit einigen Jahren chronisch krank. Am Anfang habe ich immer wieder panisch nach „Heilungsmöglichkeiten“ gesucht, fast schon wütend, weil ich es nicht akzeptieren wollte, dass es vielleicht keine gibt. Erst Jahre später habe ich verstanden, dass alle das so tun, das alle versuchen, diese Person mit Tipps (a la: warst Du schon in Schmerzklinik XYZ… hast Du schon Akupunktur versucht, das hat mir ja sooo geholfen…) zu überschwemmen. Jede_r denkt, die Patentlösung parat zu haben (und nehmen der Erkrankten damit die Eigenständigkeit, eventuell selbst am besten zu wissen, was das richtige für sie ist). Natürlich, ein jeder meint es nur gut… aber oft denken wir zu stark „problemorientiert“ und zu wenig mitfühlend…
    Ich wünsche Dir viel Kraft für die Zukunft!

    1. modustrotzdem

      Genau… Und man könnte es sich weder finanziell, noch zeitlich leisten, all die tausend Dinge auszuprobieren, die einem empfohlen werden, sobald man die Worte „chronisch krank“ benutzt…
      Vielen Dank für deinen Kommentar, er hat mich sehr gefreut! 🙂

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